Anna Christmann hat zwar bisher noch nicht selbst ein Unternehmen gegründet, aber mit der Digitalisierung kennt sie sich aus: Die 38-Jährige sitzt seit 2017 im Bundestag und war in der angelaufenen Wahlperiode Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion für die Themen Innovations- und Technologiepolitik, außerdem war sie Obfrau der Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz. Jetzt hat der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sie zur Beauftragten für die Digitale Wirtschaft und Start-ups ernannt. Was hat Sie vor?
ZEIT für Unternehmer: Frau Christmann, Sie sind die neue Beauftragte der Bundesregierung für die Digitale Wirtschaft und Start-ups. Was sind denn aus Ihrer Sicht die besonderen Stärken der deutschen Start-up-Szene?
Anna Christmann: Start-ups greifen viel schneller neue technologische und gesellschaftliche Trends auf. Sie können völlig neue Geschäftsideen verwirklichen. Gerade im Hinblick auf die Megathemen unserer Zeit wie Klimaschutz und Digitalisierung kommt ihnen deshalb eine bedeutende Rolle zu. Wir haben hervorragend ausgebildete und hoch motivierte Gründerinnen und Gründer. Eine weitere Stärke ist das hohe Niveau der Forschungslandschaft, aus der regelmäßig vielversprechende Ausgründungen hervorgehen. Rund jede vierte Start-up-Gründung stammt aus dem Umfeld von Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Auch die Finanzierung ist in den letzten Jahren besser geworden, aber da ist noch Luft nach oben.
Die Gründungsneigung ist in Deutschland traditionell niedriger als in anderen ähnlich industrialisierten Ländern, die Zahl der Existenzgründer im Vollerwerb ist seit Langem rückläufig und ist laut KfW-Gründungsmonitor im Jahr 2020 auf einen Tiefpunkt gefallen. Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, um diese Entwicklung umzukehren?
Christmann: Auch ich bin mit der Gründungsentwicklung nicht zufrieden. Hier hat die Pandemie leider dämpfend gewirkt. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass wir in Deutschland unser großes Potenzial in Zukunft noch besser heben können. Das ist der Anspruch unserer Koalition. Es gibt bereits eine ganze Reihe von Unterstützungen wie das Gründungsprogramm Exist oder die Digital Hub Initiative. Aber neben Förderinstrumenten geht es auch darum, die Bedingungen für Gründungen insgesamt zu verbessern – von einfacheren Gründungsprozessen bis hin zu besserer Datenverfügbarkeit und Start-up-freundlichen Ausschreibungen. Es gibt viele Stellschrauben, und die will ich angehen.
Gründerinnen und Gründer bewerten die Politik der Bundes- und Landesregierung oft kritisch, wie etwa die Ausgaben des Start-up-Monitors der vergangenen Jahre zeigen. Was kann die Politik, und was wollen Sie besser machen?
Christmann: Im Koalitionsvertrag haben wir uns eine umfassende Start-up-Strategie vorgenommen. Dabei geht es uns insbesondere um die Bereiche „mehr Talente gewinnen“, „besserer Zugang zu Kapital“ und „stärkere Vernetzung des Start-up-Ökosystems“. Mir persönlich ist außerdem das Thema female founders sehr wichtig. Wir brauchen mehr Frauen in Gründungsteams, denn Diversität erhöht nachweislich das innovative Potenzial unserer Gesellschaft. Deshalb wollen wir beispielsweise ein Gründerinnen-Stipendium einführen. Auch soziale Innovationen sind für mich ein Schwerpunkt. Sogenannte Social Entrepreneurs haben oft andere Bedürfnisse beim Gründen als die übrigen Start-ups. Und was die Konditionen für Mitarbeiter-Kapitalbeteiligungen anbelangt, spüre ich in der Bundesregierung starken Rückenwind.
Oft wird bemängelt, dass deutsche Digitalunternehmen hinter denen aus anderen Ländern und insbesondere den USA zurückbleiben, die wichtige Themen dominieren – wie heute den Online-Handel oder soziale Netzwerke und morgen womöglich das Metaverse. Was muss aus Ihrer Sicht passieren, um international mithalten zu können?
Christmann: Um unsere eigene Innovationsfähigkeit zu sichern, müssen Deutschland und Europa in kritischen Technologiebereichen ihre digitale Souveränität stärken. Deshalb engagiere ich mich, schon seit ich im Bundestag bin, für einen starken europäischen Technologiestandort, beispielsweise bei künstlicher Intelligenz oder Quantentechnologien. Wir müssen ein attraktiver Standort sein, damit DeepTech-Gründungen auch bei uns stattfinden und auch hierbleiben. Dabei werden wir nicht den US-Trends hinterherlaufen, gerade bei Diensten, die mit persönlichen Daten arbeiten. Wir haben Industriedaten, die wir besser teilen und zugänglich machen müssen. Wir müssen sehen, wie Gaia-X mit einer vertrauenswürdigen, offenen europäischen Dateninfrastruktur dazu beitragen kann. Nicht zuletzt kommt es auch auf gemeinsame europäische Standards wie im Digital Services Act und im Digital Markets Act an, mit denen wir Verbraucherrechte schützen und vor allem große Digitalplattformen stärker regulieren.
Im Jahr 2021 ist deutlich mehr Geld in junge Digitalfirmen aus Deutschland als in den Vorjahren geflossen, wie etwa der Atomico Report zeigt; die Zahl der sogenannten Einhörner (mit mehr als einer Milliarde Euro bewertete Unternehmen) ist um 19 auf 51 gestiegen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung, und wie groß ist aus Ihrer Sicht die Gefahr einer Blase?
Christmann: Ich freue mich, dass das Start-up-Ökosystem sich in den letzten Jahren weiterentwickelt hat. Wir sehen allerdings auch, dass sowohl der deutsche als auch der europäische Wagniskapitalmarkt im internationalen Vergleich weiterhin recht klein ist und die Bewertungen deutscher Start-ups vergleichsweise niedrig sind. Ich sehe vor allem noch eine Lücke in der Spätphasenfinanzierung für Start-ups mit einer längeren Entwicklungszeit. Da haben wir mit BioNTech und CureVac gerade die Beispiele gesehen, die nur schwer an relevantes Wagniskapital gekommen sind. Wir werden prüfen, wie das Programm Zukunftsfonds noch gezielter solche Lücken schließen kann.
Sie selbst haben sich viel mit Innovations- und Technologiepolitik und künstlicher Intelligenz beschäftigt, besitzen aber keine eigene Gründungserfahrung. Gab es schon mal einen Moment, in dem Sie gerne selbst ein Start-up gegründet hätten – und wenn ja, was für eines, und warum ist es nicht dazu gekommen?
Christmann: Ich komme aus einer Gründerfamilie, meine Eltern haben erfolgreich mehrere Unternehmen gegründet – viele davon würde man heute Start-ups nennen. Ich empfand das immer als etwas Besonderes und habe von diesem klassischen Gründungsgeist viel mitgenommen. Unter anderem, dass es sehr viele spannende Dinge im Leben gibt, die man tun kann, wenn man einfach loslegt. Letztlich habe ich mich erst für die Wissenschaft und dann für die Politik entschieden. Ob noch eine Gründung dazukommt, wer weiß das schon so genau.
In der nächsten Ausgabe finden Sie an dieser Stelle wieder wie gewohnt das INTRO-Interview. Dann befragt die Unternehmerin Sara Nuru den Unternehmer und Alnatura-Gründer Götz Rehn.
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